Aus "Zynisch bis heiter"
Münsterländer Geschichten
Zungenbruch
Endlich ist es wieder soweit.
Open-Stage-Day im Atelier Blaues Tor.
Wie tausend Schmetterlinge kitzelt es in meinem Bauch, als Vorfreude von mir Besitz ergreift.
Wieder dieses Wohnzimmerfeeling in Bernis Atelier, mit all den sym-pathisch verrückten Typen, die sich
dort gerne tummeln. Ich liebe dieses Ambiente und fühle mich jedes Mal heimisch, wenn ich diese herrliche
Mischung aus Chaos, Kunst und Kaminzimmeratmosphäre in mich einsauge.
Einziger Wermutstropfen ist, dass unsere Pressesprecherin Lindi ausfällt und ich deshalb den Pressetext
schreiben muss. Eigentlich erledige ich diesen journalistischen Teil recht gerne. Aber nicht dann, wenn ich
am nächsten Morgen früh zur Arbeit muss und deshalb eine Nachtschicht fällig ist, damit alles rechtzeitig
fertig wird.
Egal.
Gut gelaunt komme ich im Atelier an, wo Dirk und Holger schon dabei sind, die Musikanlage startklar zu
machen. Mischpult, Boxen, Kabel, Mikrofon- und Gitarrenständer bilden noch ein wildes Tohuwabohu, aber
langsam lichtet sich dieses kreative Chaos.
„Katharina hat für heute Abend abgesagt.“, begrüßt mich Holger. Mist! Also sind von unserem Organi-
sationsteam wieder mal nur drei Leute anwesend und ich darf die Moderation übernehmen. Erschwerend
kommt hinzu, dass Katharina stets souverän, charmant, witzig und spontan wirkt. Zu allem Überfluss ist sie
jung und sieht verdammt gut aus. Die Moderation kriege ich zwar auch hin – aber „Gut“ wäre als Bewertung
völlig übertrieben. Außerdem wirke ich eher tollpatschig, mollig und wie der Typ „angegraute Landpomeranze“.
Also gut. Tief durchatmen, Augen zu und durch.
Für heute Abend hat sich eine junge Band angesagt, deren Namen mir den letzten verbliebenen Hauch von
Vorfreude raubt: „Sore throat in Thrapston“!
Herzlichen Dank! Ich bekomme jetzt schon Halsschmerzen. THR. Im schlimmsten Fall gesprochen ßsr.
Die gemeinste Waffe der Angelsachsen, um sprachunbegabte Teutonen wie mich in den Wahnsinn zu
treiben. Zungenbruch pur. DER Albtraum meiner Schulzeit.
Als mir einer dieser Jünglinge dann die Songtitel mitteilt, treten mir Schweißperlen auf die Stirn:
„Three thrones“, „Thruscross Reservoir“ und „Thriller“.
Fällt der Jugend von heute nichts Besseres ein? Irgendwie erinnert mich diese Situation an Evelyn
Hamann's unvergessliche Fernsehansage über den mehrteiligen Krimi „Die zwei Cousinen“.
Sie wissen schon: Mit Lord und Lady Hesketh-Fortescue, dem jüngsten Sohn Meredith, den Cousinen
Priscilla und Gwyneth Molesworth von North Cothelstone Hall.
Nein? Kennen Sie nicht?
Unbedingt mal anschauen. Es lohnt sich!
„Wenn ich das anmoderiere, blamiere ich mich bis auf die Knochen!“, klage ich Holger mein Leid.
„Ach Quatsch, du machst das schon.“, versucht dieser mich zu trösten. Aber irgendwie kann er sich ein
breites Grinsen nicht verkneifen.
Während die ersten Besucher eintreffen, erkundige ich mich bei allen anwesenden Musikern nach den
Bandnamen und schreibe mir die Titel auf, welche gespielt werden. Schließlich will die GEMA ja auch zu
ihrem Recht kommen.
' Gibt es hier irgendwo eine versteckte Kamera?', denke ich bei dieser THR-getränkten Liste.
Aber noch bevor ich die Flucht ergreifen kann, haben wir ein volles Haus und 19.30 Uhr.
Showtime.
Mit schlotternden Knien erklimme ich die Bühne. Das Publikum blickt mich erwartungsvoll an.
' Ganz ruhig…', rede ich mir ein. 'Tief durchatmen. Omm.'
„Hallo liebes Publikum!“, versuche ich dann locker und flockig zu wirken. „Wir von Kulturfeld Münsterland
freuen uns ganz herzlich, heute so viele Besucher bei der Open Stage begrüßen zu dürfen. Auch dieses
Mal haben sich zahlreiche Musiker eingefunden, um uns allen einen kurzweiligen Abend zu bescheren.
Außerdem gibt sich Sascha, ein begnadeter Poetry Slammer, die Ehre, und Antonio Mamut nimmt uns mit
auf eine Reise in seine zauberhafte Magiewelt.“
Höflicher Applaus.
„Den Beginn macht heute eine Nachwuchsband aus Nottuln mit dem Namen Sore throat in Thrapston.“
Verhaltenes Gelächter dringt an mein Ohr. Wahre Sturzbäche von Angstschweiß rinnen mir den Rücken
hinab.
„Als erstes spielen sie die Songs 'Three thrones' und 'Thriller'.“
Dämliches Gekicher und blöde Bemerkungen über meine Aussprache sind die Folge.
Puterrot im Gesicht und mit zitternden Händen stottere ich jetzt auch noch bei den letzten Titeln dieser
bescheuerten Band. Denn bescheuert muss man schon sein, wenn man solche Lieder schreibt.
„Dann stellen sie ihre eigenen Songs 'Three Chinese thrank through the night' und 'Thruscross Reservoir'
vor.“
Angewidert wischt sich ein Mann in der ersten Reihe meine Spucke aus dem Gesicht, während andere vor
Lachen regelrecht am Boden liegen.
Fluchtartig verlasse ich die Bühne, heilfroh, den schlimmsten Teil überstanden zu haben. Wie ein geprügelter
Hund verziehe ich mich in die hinterste Ecke von Bernds Atelier. Holger steht schon da, mit breitem Grinsen
im Gesicht. „Ich wusste ja gar nicht, welch ein Sprachgenie in dir schlummert.“
Dann prustet er los.
Eigentlich habe ich Holger wirklich lieb, aber in diesem Moment könnte ich ihn umbringen. Letztendlich be-
gnüge ich mich dann doch damit, ihm einen kräftigen Rippenstoß zu versetzen. Wenn ich an den dicken
blauen Fleck denke, der ihm zwangsläufig blüht, geht es mir wieder ein wenig besser.
Dann jedoch muss ich wieder da hinauf.
„Jetzt kommt Threecastles Spirits mit Thrifty Swords road und Thrybergh thrill“, stottere ich ins Mikrofon.
Der erneut von mir vollgesabberte Mann aus der ersten Reihe sieht hasserfüllt zu mir empor, bevor er sich
würdevoll erhebt, um den Raum zu verlassen. Ich glaube, den sehen wir nie wieder. Neidisch blicke ich ihm
hinterher.
Andere halten demonstrativ Papiertücher, Handtaschen und weitere Gegenstände vor sich, um meiner un-
freiwilligen Spucktirade zu entgehen. Am liebsten würde ich im Boden versinken.
„He Leute, ich könnte noch ein paar Regenschirme besorgen.“, ruft Jack schadenfroh in die Runde. ER sitzt
ziemlich weit hinten im Trockenen. Oh Mann, Jack ist ja mal wieder sooo einfühlsam. Und das, wo ich doch
so sensibel bin. Wütend starre ich ihn an.
Horrormäßig geht dieser Abend weiter.
Eine Musikertruppe nennt sich mal ganz spontan in „Three Bridges
Station“ um und spielt „Through the Threecastles thrones“, der Poetry-Slammer macht sich übelst über mich
lustig und alle mobben mich.
Als irgendein Witzbold dann auch noch tatsächlich Regenschirme verteilt, drehe ich durch.
Wild kreischend funktioniere ich die Mikrofone zu Wurfgeschossen um, schmeiße mich gegen die Boxen,
welche einige Zuschauer unter sich begraben, steche mit einem Mikrofonständer wahllos auf Leute ein und
werfe mit Gitarrenständern durch die Gegend.
Was dann passiert, weiß ich später nicht mehr so genau. Es muss wohl mehrere Verletzte gegeben haben
und das Atelier ist stark renovierungsbedürftig. Außerdem soll ich dort jetzt ein lebenslanges
Hausverbot haben. Aber das ist mir egal.
Momentan mache ich Urlaub in einer geschlossenen Anstalt. Hier sind alle sehr nett zu mir, und man hört
keine dämlichen englischen Lieder, deren Namen ich niemals aussprechen werden kann. Und durch die
kleinen weißen Pillen, welche mir der nette Pfleger täglich verabreicht, schwebe ich glückselig wie auf Wolken
durch himmlische Sphären.
Greta Arend
E-Mail: greta-arend@t-online.de
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